Sonntag, 10. Februar 2019, im Mezzanin im Von der Heydt-Museum in Wuppertal Elberfeld

Seit der Lesung von Thomas Sparr gute zwei Wochen zuvor scheint bloß der Regen wärmer geworden zu sein. Noch immer wird die Stadt durchspült von dichten Schwällen dicker Tropfen und der Asphalt am ‚Wall‘ glänzt im im verlischenden Tageslicht, das mit den dauerilluminierten Schaufenstern konkurriert. Die sonntagsleere Fußgängerzone füllt sich zunehmend mit Ankommenden, je näher man dem Von der Heydt Museum ist.

Die einen strömen in die verlängerte Paula Modersohn Becker Ausstellung, andere verlassen sie, um rechtzeitig noch Platz im Mezzanin finden, das sich schon weit vor Beginn der Lesung gefüllt hat. Regenmäntel werden abgegeben, Gespräche über beide Künstlerinnen kann man belauschen – zwei Frauen, die es ein Jahundert zuvor nicht immer einfach gehabt haben, die jedoch beide in ihrer eigenen Bildsprache gegen Konventionen ihren Aufbruch in die Moderne taten.

Die zwei Schwestern Theresia Hoang (geb. Weimer) und Katharina Weimer, das Gitarrenduo WeimerSisters, lässt sie alle verstummen.
Eingeleitet vom Gitarrenspiel beginnt die Buchvorstellung des bereits in erster Auflage fast vergriffenen Bandes Verzauberte Heimat. Else Lasker-Schüler und Wuppertal, das kurz zuvor im Wuppertaler Peter Hammer Verlag erschien. Die Herausgeberin, Dr. Ulrike Schrader, führt im Folgenden durch den Abend und durch das Elberfeld Else Lasker-Schülers, wie es im Buch anhand verschiedener ‚Stationen‘ materialreich und in den Worten der Dichterin und weiteren Stimmen illustriert wird.

Dem Ort der Lesung entsprechend beginnt sie mit der Station ‚Turmhof‘ – der 21. von 24 alphabetisch angeordneten Stationen im Band. Hier, wo unlängst noch ‚der liebe Jankel [Adler]‘ ausgestellt wurde, liest nun Julia Wolff Else Lasker-Schülers Gedicht Jankel Adler (in: Ulrike Schrader (Hrsg.): Verzauberte Heimat. Else Lasker-Schüler und Wuppertal. Wuppertal: Peter Hammer 2019. S. 95). Dass es Julia Wolff ist, die an diesem Abend der Dichterin ihre Stimme leiht, ist treffend, spielt sie doch im kommenden Inszenierungs-Projekt zu Ichundich der Wuppertaler Bühnen selbst die Else Lasker-Schüler.

Durch die Straßen ihrer Stadt begleiten die Zuhörer*innen nun Else Lasker-Schüler, Julia Wolff und Ulrike Schrader, die nicht nur den Blick der Dichterin auf Wuppertal, sondern auch den Blick Wuppertals auf seine Dichterin kommentiert.

Ihre „zweite Heimat“, so Ulrike Schrader, „fand Else Lasker-Schüler im Judentum“, das für sie weniger ein angeleiteter Gottesdienst, sondern mehr ein „intuitives Gefühl“ gewesen sei. Die „jüdische, assimilierte Familie Schüler“ habe sich weit weniger mit dem Glauben auseinandergesetzt, als Else Lasker-Schüler dies tat.  So berichtet die 22. ‚Station‘ des Buches, „Wall“ (S. 97 – 104), von der Zedaka ( צְדָקָה ), der Ethik der Gerechtigkeit, die sich im Verhalten Else Lasker-Schülers unter anderem in ihrem unermüdlichen Einsatz für ihren Bruder Alfred offenbarte, dem sie zwar ‚ein fremdes Kind geblieben‘ war, jedoch (finanzielle) Zuwendung wünschte. In Briefen bittet sie – die dabei stets darauf bedacht ist, als Veranlassende nicht genannt zu werden – rührend um Hilfe, einen Mäzen, für den malenden Bruder.

Das von Stadt Wuppertal in Auftrag gegebene Buch offenbart an diesem Abend wie in der Lektüre selbst Kenner*innen ungeahnte Novitäten: Ulrike Schrader hat mit Unterstützung Heinz Schneiders und Stefan Koldehoffs in Archiven und Sammlungen weitestgehend unbekanntes Bildmaterial, wie das Titelbild des Bandes, und interessante Zusammenhänge aufgetan, die die Auseinandersetzung mit der malenden Dichterin auch über 120 Jahre nach ihrem Fortgang aus Wuppertal spannend erhalten.

Im Anschluss an die Veranstaltung sind die Besucher*innen eingeladen, ‚Station‘ 6 aufzusuchen, die Begegnungsstätte Alte Synagoge in der „Genügsamkeitsstraße“. Gemeinsam spazieren sie durch den Regen und wohl manch eine*r sieht Elberfeld nun ein wenig mehr mit den Augen Else Lasker-Schülers:

Ich bin verliebt in meine Stadt und bin stolz auf seine Schwebebahn, ein Eisengewinde, ein stahlharter Drachen, wendet und legt er sich mit vielen Bahnhofköpfen und sprühenden Augen über den schwarzgefärbten Fluß.
aus: Else Lasker Schüler: Elberfeld im dreihundertjährigen Jubiläumsschmuck – in: Ulrike Schrader (Hrsg.): Verzauberte Heimat. Else Lasker-Schüler und Wuppertal. Wuppertal: Peter Hammer 2019. S. 109 – 112.

bf.
Text und Bilder: Birte Fritsch für das Kulturbüro der Stadt Wuppertal | Creative Commons

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