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IM HEIMWEH IST EIN BLAUER SAAL. COLLAGEN VON HERTA MÜLLER | Ausstellung
10. März 2019 - 9. Juni 2019
9EuroIm Heimweh ist ein blauer Saal. Collagen von Herta Müller
10. März bis 9. Juni 2019
verantwortliche Kuratorin und Kurator: Delfina Jałowik und Jürgen Kaumkötter
Verdichtete Geschichten, Worte wie Fundstücke, zu neuem Inhalt zusammen gesetzt und auf Postkarten mit Bildmotiven kombiniert: Das Zentrum für verfolgte Künste zeigt 220 literarische und visuelle Collagen von Herta Müller: „Auf jeder Karte steigt der Text mit dem Bild auf eine Bühne, jede Karte inszeniert ihr kleines Theater.“
Zur Ausstellung erscheint im Carl Hanser Verlag ein Buch mit den neuesten Collagen.
„Kurz nachdem ich aus Rumänien kam, war ich viel unterwegs. Ich wollte mich bei Freunden melden und suchte in den Orten, wo ich gerade war, nach Postkarten. Aber auf den schwarzweißen Karten standen dümmliche Sprüche, die witzig sein wollten. Und die Ansichtskarten hatten so grässlich missratene Farben. Schon der Himmel war auf allen ein dickes Blau, die Bäume ein
dickes Grün, die Dächer ein dickes Rot. Eines Tages kaufte ich weiße Karteikarten, einen Klebestift und fing an, im Zug mit der Nagelschere aus der Zeitung ein Schwarzweiß-Bild und Wörter auszuschneiden. Auf eine Karte klebte ich dann das Bild und ein paar Wörter: DAS STÖRRISCHE WORT ALSO, oder WENN ES EINEN ORT WIRKLICH GIBT STREIFT ER DAS VERLANGEN, oder DIE TASCHENDIEBIN DIE BIN ICH. Ich war verblüfft, weil einzelne Wörter eine ganze Geschichte erzählen. Weil ein paar Wörter etwas Rätselhaftes hergeben, weil das Wenige noch allerhand suggeriert – eine ganze Geschichte geht weiter, merkte ich, gerade weil sie
nicht auf der Karte steht. Die Texte wurden immer länger. Es entstanden Geschichten aus verschiedenen Farben und Schrifttypen. Die Texte klingen, weil die unterschiedlichen Farben die Wörter tönen und die unterschiedlichen Größen ihnen ein unterschiedliche Stimme geben.
Je länger ich mit den Wörtern arbeitete, um so länger wurden die geklebten Texte. Es ist für mich mittlerweile selbstverständlich, mit gefundenen Wörtern zu schreiben. Weil sie aus ganz verschiedenen Zeitschriften kommen, macht ihre Unterschiedlichkeit die Texte sinnlich. Es ist der intensivste Kontakt mit Sprache, weil man jedes Wort einzeln anfassen muss. Überhaupt ist diese Arbeit sinnlich. Und sie ähnelt in vielem dem wirklichen Leben: der Zufall, durch den sich die Wörter treffen; mehr als die Größe der Karte ausmacht, geht nicht drauf; was einmal festgeklebt ist, kann man nicht mehr ändern. Manche Wörter habe ich nun seit Jahren und man sieht ihrem Papier an, dass sie alt geworden sind. Und wenn ich unterwegs bin, weiß ich, dass alle meine Wörter zu Hause auf mich warten. Manchmal glaube ich, dass auch sie in ihren Schubladen warten, wie ich an den Bahnhöfen, dass sie endlich in einen Text einsteigen dürfen. Andersmal glaube ich, dass sie froh sind, wieder mal davon gekommen zu sein und in der Schublade bei den andern bleiben zu dürfen. Denn eigentlich habe ich sie ja gerettet. Die ganze Kleberei hat womöglich mit meiner früheren Zeit in Rumänien zu tun. Dass es unzählige bunte Zeitschriften gibt, so gutes Papier, so viele Texte, die nur flüchtig gelesen und schon weggeschmissen werden –
das alles kannte ich in Rumänien nicht. Es gab nur graue, nach Schmieröl stinkende Staatszeitungen, sonst nichts. Schon vom Umblättern kriegte man schwarze Finger.“
Herta Müller
Die Solinger Ausstellung der Collagen von Herta Müller wird im Anschluss im MOCAK Museum für
Gegenwartskunst Krakau gezeigt.